Critical Self-Care
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Präambel
Dieses Projekt ist noch im Werden. Es wächst seit einigen Jahren vor dem Hintergrund der medizinischen Ausbildungsforschung. Nun wird es konkreter, weil Self-Care als fester Bestandteil der Ausbildung im Nationalen Lernzielkatalog Medizin verankert wird, welcher im Zusammenhang mit der neuen ärztlichen Approbationsordnung 2025 in Kraft treten wird.
Hintergrund
Die Anforderungen an künftige Ärzt:innen werden immer größer. Deutlich wird dies sehr schön an den sogenannten CanMEDs-Rollen: Diese basieren auf einem kandadischen Modell zu den Rollen eines Mediziners. Sie sollen sicherstellen, dass die Ausbildung unsere Ärzt:innen von Morgen in jenen Fähigkeiten ausbildet, welche den Erwartungen der Gesellschaft an die „Sozialfigur Arzt“ entspricht:
https://www.bvmd.de/wp-content/uploads/2021/04/Grundsatzentscheidung_2018-11_Erweiterung_NKLM_-_Visionaer.pdf
In dieser Abbildung wurde sogar von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschland noch die Rolle des Visionärs hinzugefügt. Das sind bereits acht Rollen, welche eine Ärzt:in ausfüllen soll. Weiterhin wird der Ruf laut nach der Ausbildung von kritisch denkenden Menschen, die sich auch politisch engagieren. Nur… was passiert, wenn diese Studierenden, die mit hohen Idealen ausgebildet werden, im Alltag des Gesundheitssystems landen? Die dortigen Arbeitsbedingungen führen seit Jahren zu einer unschönen Bilanz: Depressionen, Burnout, Suizidgedanken/versuche/erfolgte Suzide sind an der Tagesordnung – mit deutlich erhöhten Zahlen gegenüber der Allgemeinbevölkerung. „Getoppt“ werden sie nur noch von Veterinärmediziner:innen. Die Lösung heißt nun: Self-Care.
Interessant. Die Veratnwortung für die Belastung wird also in das Individuum verlegt. Self-Care = Patient-Care. Gleichzeitig ist Self-Care oft Mental Health Care und ist damit weiterhin mit einem Stigma belegt: Denn auch wenn im NKLM Self-Care zur Rolle des Professionellen zählt, so heißt „professionell“ zu sein in der Praxis allzu oft: Keine Gefühle, keine Bindung; dafür Distanz und hübsche Modelle aus dem Kommunikationstraining, die es im Grunde ermöglichen, Empathie „zu faken“ (auch hier: Die Modelle sind nicht das Problem, sondern die Skillification, die damit einhergeht). Menschlichkeit – bitte gern. Mensch SEIN (mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen etc.) – bitte nur in deiner Freizeit, Frau Doktor!
Spannend ist nun, welche Konzepte vermittelt werden. Self-Care heißt zumeist: Entspannungsübungen und Decompression, Achtsamkeit und Meditation, ausreichend Schlaf und Bewegung bei Tageslicht – gelöst über Zeitmanagement. Dass das nur schwer bis nicht aufgeht, wird direkt auf den ersten Blick deutlich (was nicht heißt, dass die Strategien schlecht oder unwirksam sind!). Die Folge: Studierende, die auf Leistung und Selbstoptimierung getrimmt sind, laufen mit diesen Self-Care-Konzepten noch regelmäßiger gegen eine Wand als die Durchschnitts-Bürger:in. Self-Care läuft gefahr, zum verhassten To-Do-Punkt, zu einer Quelle des Versagens und der Selbstabwertung zu werden. Wenn das was gut tut zum „müssen“ und „sollen“ wird, ist Widerstand vorprogrammiert.
VOrhaben
Critical Self-Care ist der Name eines (noch zu entwickelnden) Programmes, was an deutschsprachigen medizinischen Fakultäten erprobt und weiterentwickelt werden soll. Zusammen mit den Studierenden wird die Idee hinter dem Konzept „Self-Care“ kritisch reflektiert: Was verstehe ich darunter? Was funktioniert für mich daran – und was nicht? Und wieso funktioniert es nicht?
Darüber hinaus sollen nicht nur Handlungstrategien erarbeitet werden. Es geht insbesondere auch um die eigene Einstellung zu der Idee von Self-Care, wie sie derzeit probagiert wird. Denn es gibt zuhauf wissenschaftliche Untersuchungen dazu, WAS alles gut wirkt. Aber – wie so oft – mangelt es an einer theoretischen Fundierung. Und wo diese fehlt, da ist es mit der kritischen Reflexion zu gesellschaftlichen und damit oftmals latenten Einflüssen nicht weit her.
Genau diese sollen sichtbar gemacht werden. Ziel ist es, das Konzept vom Druck der Selbstoptimierung zu befreien. Mündige Studierende können damit eine informierte Entscheidung treffen: Passt das, was da an mich herangetragen wird, wirklich zu mir? Oder tue ich mir selbst etwas Gutes, in dem ich es schlicht weg… nicht mache?
Weitere Gedanken zum Thema kritische Reflexion des Konzeptes von Self-Care im Kontext des Gesundheitswesens und insbesondere vor dem Hintergrund von Professional Identity sind in Form von Instagram-Posts (@psychosomatic.theory) entstanden.



























Bisher dazu gelaufen:
Workshop | Critical Self-Care | Deutscher Ärztinnenbund 2023
„Critical Self-Care: Ein integrativer Workshop zur Selbstfürsorge im ärztlichen Berufsalltag“ – Junges Forum des Deutschen Ärztinnenbundes, Hamburg, 26. März 2023
Workshop | Critical Self-Care | Med. Hochschule Brandeburg 2023
„Pause vs Workoverload: Critical Self-Care in der Prüfungszeit“ – Pilotworkshop, 18. Januar 2023, MHB Brandenburg
Workshop | Critical Self-Care | Health For Future 2022
„Kritische Selbstfürsorge“ – im Rahmen der Skills Lab Reihe von HealthForFuture. Online, 28. Dezember 2022
Workshop | Critical Self-Care | RWTH Aachen 2022
„Critical Self-Care für Frauen“ – Präsenzworkshop für Medizinstudierende. 15. Dezember 2022, RWTH Aachen